Es ist eines jener Bilder, das man vermutlich sofort löschen würde, sähe man es und hätte man die Möglichkeit dazu. Das Gesicht wirkt flach gedrückt, das Kinn schlapp. So gar nichts hat es gemein mit dem Porträt, das in der Lamarr-Biografie von Michaela Lindinger eine Seite weiter folgt. Eine Frau – viele Gesichter. Über wenige österreichische Schauspielerinnen ist derart viel geschrieben worden wie über die 1914 in Wien als Hedy Kiesler geborene Schauspielerin. Vor allem ihr lange Zeit unterschätztes Werk als Erfinderin und ihr feministisches Engagement wurden in den vergangenen Jahren verstärkt ins Licht gerückt – offenkundig derart erfolgreich, dass die jüngere Generation heute eher mit Lamarrs technischer Entwicklung vertraut ist als mit ihren Filmen. Insofern wenig verwunderlich, da es ohne Hedy Lamarrs Frequenzsprungverfahren – eine Technologie, die sie gemeinsam mit dem Komponisten George Antheil in den 40er Jahren entwickelte um Torpedos den sicheren Weg zu geleiten – heute möglicherweise weder WLan noch Bluetooth gäbe. Als junge Schauspielerin hatte sie sich einiges an Wissen in punkto Waffentechnologie in ihrer ersten Ehe mit dem Waffenproduzenten Fritz Mandl aneignen können.

Weit verbreitet scheint auch heute noch das Wissen um den Filmskandal rund um ihren frühen Spielfilm „Ekstase“ – die erste Darstellung eines Orgasmus in der (Mainstream)Filmgeschichte. Dieser angeblich mit einer Nadel in den Hintern herbeigeführte erste Höhepunkt ihrer Laufbahn fand im Übrigen im selben Jahr wie ihre Ehe statt. Lamarrs nackter Körper und ihr (lust)verzerrtes Gesicht sind für heutige Maßstäbe allerdings nur kurz auf der Leinwand zu sehen. Nur wenige Momente dauerte auch die Ehe mit Mandl, der sich ebenso als wahrer „Pain in the ass“ entpuppt haben dürfte. Nur wenig später ergriff sie die Flucht. Unterstützt wurde sie dabei von Max Reinhardt, der sie in Salzburg mit dem Filmproduzenten Louis B. Mayer bekannt machte. Lamarr folgte ihm mit dem Schiff nach New York. Als sie von Bord ging hatte sie einen Vertrag in der Tasche und aus der jungen Frau Kiesler wurde Hedy Lamarr – eine der größten Hollywood-Diven des 20. Jahrhunderts.

Von Wien nach Amerika

Obwohl die als „schönste Frau der Welt“ vermarktete Schauspielerin als schwierigste Aufgabe ihre Elternschaft angab (vgl. die Biografie von Lindinger), dürfte auch das Stardasein im Amerika der 40er und 50er Jahre kein Honiglecken gewesen sein. Der österreichische Historiker Frank Stern beschreibt in der im Dezember erschienenen siebenten Ausgabe der „Filmgeschichte Österreichs“ die Schauspielerinnen jener Zeit als Ware im Besitz der Studios. Auch Hedy Lamarr wird von den Studiobossen und der Filmmaschinerie (Kostüme, Kamera und Licht werden perfekt auf sie und ihre Rollen abgestimmt) zur exotischen Fremden mit einer gehörigen Portion an Sexappeal stilisiert. In den Kriegsjahren fungiert sie mit ihren Filmen zudem als Pin-Up-Girl für die GIs. Doch Lamarr hatte mehr als ein schönes Gesicht und einen ansprechenden Körper zu bieten. Um die GIs zu unterstützen entwickelt die bekannte Gegnerin des Nationalsozialismus jenes Frequenzsprungverfahren, für das sie 1942 ein Patent anmeldete, das in unserer digitalisierten Welt heute eine derart bedeutende Rolle spielt. Auf der Leinwand blieb sie jedoch auch in den nächsten Jahren zumeist die Fremde oder Exotische. In „White Cargo“ (1942) spielt sie eine Urwaldschönheit, die von ihrer Ehe mit einem Weißen enttäuscht wird; in „Tortilla Flat“ mimt sie eine jungen Latina, „die weiß, was sie vom Leben und den sie umgebenden Männern will“, so Frank Stern in der Beschreibung zum Film auf der Homepage des Filmarchivs. Noch bis 7. Jänner sind im vom Filmarchiv betrieben Metro Kinokulturhaus eine Auswahl von 23 Filmen zu sehen. Neben ihren frühen europäischen Werken wie „Ekstase“ und ihrem ersten Spielfilm „Man braucht kein Geld“ aus dem Jahre 1931 sowie sämtlichen Klassikern der Hollywood-Jahre können sich Interessierte auch im Rahmen der Doku „Calling Hedy Lamarr“ von Georg Misch (A/D/GB 2004) ein Bild über die Diva machen. Zu sehen sind Lamarrs Kinder Anthony Loder und Denise Loder-DeLuca, die mehrere (telefonische) Gespräche mit den Wegbegleitern ihrer Mutter führen.

Zu Gast im Jüdischen Museum

Anthony Loder, Lamarrs Sohn aus dritter Ehe mit dem Schauspieler John Loder, eröffnete zudem kürzlich im Jüdischen Museum die Ausstellung „Lady Bluetooth. Hedy Lamarr“. Ausgestellt sind neben zahlreichen Filmplakaten, Fotografien, Filmausschnitten und Originalbriefen auch persönliche Gegenstände – darunter eine Spieldose aus der Kindheit oder Fotos von der Hochzeitsreise mit Ehemann Nummer Fünf in Europa im Sommer 1955. Wir sehen Hedy Lamarr-Lee vor dem Lusthaus im Prater oder mit der Votivkirche im Hintergrund. Eine Besonderheit: vor allem aus ihren letzten Lebensjahren sind Fotos rar. Ähnlich wie Marlene Dietrich verbringt sie diese nachdem sie in den 60er Jahren beim Ladendiebstahl erwischt wurde und gescheiterten Faceliftings als Einsiedlerin unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Retrospektive
Hedy Lamarr. Ihre Filme
Noch bis 7. Jänner 2020
METRO Kinokulturhaus
Johannesgasse 4, 1010
https://www.filmarchiv.at/en/program/retrospective/hedy-lamarr/

Hedy Lamarr. Edition Film Geschichte Österreich 7. Frank Stern. Buch, ca. 170 Seiten, zahlreiche Abb. ISBN 978-3-902781-67-3. Euro 9,90

Ausstellung
Lady Bluetooth. Hedy Lamarr Noch bis 10 Mai 2020
Jüdisches Museum Wien
Dorotheergasse 11
1010 Wien, 
Öffnungszeiten: So bis Fr 10:00 -18:00 Uhr, Samstags geschlossen

Mit dem Ausstellung-Ticket „Lady Bluetooth. Hedy Lamarr“ gibt es ein ermäßigtes Ticket für die Hedy Lamarr Retrospektive im METRO Kinokulturhaus (6. statt 8,50 Euro). Umgekehrt kostet der Eintritt ins Jüdische Museum mit einem Ticket der Retrospektive 10 statt 12 Euro

Michaela Lindinger „Hedy Lamarr. Filmgöttin – Antifaschistin – Erfinderin“. Molden Verlag: Wien 2019. 304 Seiten. ISBN-10: 3222150397, Euro 28.

© Titelbild: White Cargo (USA-1942)

Geschrieben von Sandra Schäfer